Aktuelle Publikation
Goldletter Ausgabe 1/2018
Thema:
„VIELSEITIGE URSACHEN FÜR EIN INSTABILES SCHULTERGELENK"
Das Schultergelenk wird im Wesentlichen durch die Muskeln und die Gelenkkapsel stabilisiert. Andere Stabilisatoren sind die Knorpellippe am Schulterpfannenrand (Limbus), der Unterdruck im Gelenk und die knöcherne Formgebung. Die Schulterpfanne ist relativ klein und der Oberarmkopf gross. Deswegen ist das Schultergelenk das beweglichste Gelenk des menschlichen Körpers, gleichzeitig ist es aber anfällig für Instabilitäten.
Durch ein Trauma können die Stabilisatoren verletzt werden. Man spricht dann von einer traumatischen Schulterinstabilität. Dabei kommt es meist zu einer Läsion (Abriss) der vorderen Knorpellippe an der Schulterpfanne, die als Bankart-Läsion bezeichnet wird. Damit reissen oft auch die vordere untere Schultergelenkkapsel und die dazugehörigen Bänder. Die Schulterstabilisatoren können aber auch anlagebedingt zu schwach sein, wenn das Weichteilgewebe des Kapsel-Bandapparats zu schwach oder zu elastisch ist. In solchen Fällen reichen Bagatellverletzungen aus, um eine Luxation der Schulter zu bewirken. Diese atraumatischen Instabilitäten sind in der Regel angeboren. Das übermässig elastische Kapselbandgewebe lässt dem Oberarmkopf zu viel Spiel in der Schulterpfanne, und bereits geringe Manipulationen können ein teilweises (Subluxation) oder vollständiges Ausrenken (Luxation) bewirken.
Traumatisch oder atraumatisch
Um eine konservative oder operative Therapie planen zu können, ist die Unterscheidung von traumatischen und atraumatischen Schulterinstabilitäten unumgänglich. Bei den meisten Patienten ist ein Trauma für die Schulterluxation verantwortlich; häufig ein Ereignis, das so einschneidend für den Betroffenen war, dass sich dieser noch Jahre danach erinnern kann. In Abhängigkeit von Alter und anderen Faktoren kommt es nicht selten zu wiederholten Luxationen. Dies aufgrund der beim Ersttrauma verletzten Stabilisatoren, die in der Regel nicht mehr spontan abheilen können. Verletzt sind dabei der abgerissene Schulterpfannenrand und der Kapselbandapparat, zuweilen auch ein ausgebrochenes, knöchernes Stück der Schulterpfanne. In seltenen Fällen begegnet man willkürlichen Ausrenkungen. Patienten können dann auf Kommando die Ausrenkung vorführen und selbstständig den Arm auch wieder einrenken. Dies wird häufig mehrmals hintereinander getan.
Diagnostik bei Schulterinstabilität
Zu Beginn muss eine konventionelle Röntgenuntersuchung der Schulter in mehreren Ebenen durchgeführt werden. Im akuten Fall kann die etwaige Luxationsrichtung bestimmt werden. Zudem kann ein Bruch am Oberarmkopf oder an der Pfanne ausgeschlossen werden. Anschliessend bedarf es einer Ultraschalluntersuchung, um die Weichteile (z. B. Rotatorenmanschette) beurteilen zu können. Bei rezidivierenden (wiederkehrenden) Ausrenkungen oder bei anhaltenden Schmerzen wird eine Magnetresonanztomografie (MRI) durchgeführt, um allfällige Verletzungen der Gelenklippe, des Knorpels oder der Sehnen darstellen zu können. Im Vorfeld ist jedoch immer die klinische Untersuchung notwendig, damit Instabilitätsgrad und -richtung beurteilt werden können.
Nicht operative, konservative Therapie
Das primäre Behandlungsziel ist die schmerzfrei bewegliche, stabile und belastbare Schulter. Bei der akuten Schulterluxation ist die sofortige Reposition (Wiedereinrenkung) das primäre Ziel. Zuvor wird anhand eines Röntgenbilds eine Fraktur (Bruch) ausgeschlossen. Falls die Reposition aufgrund der Muskelspannung beim wachen Patienten nicht gelingt, muss eine kurze Narkose durchgeführt werden. Nach der Reposition wird die Schulter in einem Gilet oder mit einer Schlinge während einiger Tage ruhiggestellt und mithilfe von Physiotherapie nachbehandelt. Eine unmittelbare Operation ist in den meisten Fällen nicht notwendig. Sie drängt sich nur bei Frakturen auf, die konservativ nicht zu behandeln sind, und bei Patienten, die auf eine äusserst belastungsfähige Schulter angewiesen sind (z. B. Profisportler).
Chronische Schulterinstabilitäten
Mit physiotherapeutischer Anleitung und einem gezielten Muskelaufbauprogramm kann möglicherweise eine Operation vermieden werden, und die Schäden an Schulterpfannenrand und Kapselbandapparat lassen sich durch Stärkung der dynamischen Stabilisatoren (Muskeln) kompensieren. Die verletzten Strukturen heilen damit aber nicht ab. Bei anhaltenden Beschwerden trotz konservativer Therapie bleibt nur noch die stabilisierende Operation. Patienten, die willkürliche Ausrenkungen vorführen können, sollten dies zunächst dauerhaft unterlassen. Die Prognose der Spontanheilung auch nach vielen Jahren ist gut. Operationen aufgrund willkürlicher Ausrenkungen führen selten zum gewünschten Erfolg.
Operative Therapie
Je jünger ein Patient mit einer Erstausrenkung ist (z. B. 18–30 Jahre), desto eher empfiehlt sich die operative Stabilisierung, da die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Ausrenkung bei 90 Prozent liegt. Je älter der Patient ist (über 50 Jahre), desto eher empfiehlt sich eine vorerst abwartende Haltung und konservative Therapie, sofern der Sehnen-/Muskelapparat intakt ist. Bei gleichzeitiger Verletzung der Rotatorenmanschette ist eine Operation notwendig. Man unterscheidet arthroskopische von offenen Stabilisierungsoperationen.
Arthroskopische Operationsverfahren
Bei den arthroskopischen Schulterstabilisierungen werden über zwei bis vier kleine, etwa 0,5 bis 1 cm lange Schnitte eine Arthroskopiekamera und ein Operationsinstrument eingebracht. Die arthroskopische Operation wird in der Regel in Seiten- oder Rückenlage durchgeführt.
Bankart-Operation
Bei diesem arthroskopischen Eingriff wird der abgerissene Schulterpfannenrand am Knochen wieder befestigt und der überdehnte Kapselbandapparat gestrafft. Dafür werden spezielle Fadenanker verwendet, die im Knochen der Gelenkpfanne fixiert werden. In speziellen Fällen wird zusätzlich eine Remplissage durchgeführt. Dabei wird die Sehne vom Infraspinatusmuskel oben hinten am Oberarmkopf in die dort befindliche Hill-Sachs-Delle eingenäht.
Offene Operationsverfahren
Eine offene Operation wird durch eine vordere, 5 bis 7 cm lange Inzision durchgeführt. Die offene Bankart-Operation ist ein klassisches Verfahren, um den abgerissenen Limbus mittels offen gesetzter Nahtanker oder bioresorbierbarer Schrauben am vorderen Schulterpfannenrand zu fixieren. Wenn grössere knöcherne Verletzungen am Pfannenrand vorliegen, müssen diese in der klassischen offenen Technik mit Schrauben fixiert werden. Ist die knöcherne Verletzung am Pfannenrand zu gross oder das abgesprengte knöcherne Fragment zu klein für eine Verschraubung oder bereits in einer Fehlposition verheilt, wird eine Methode gewählt, bei der ein Knochenblock transferiert werden muss. Dafür kann zum Beispiel ein Knochenblock vom Beckenkamm entnommen und in den knöchernen Defekt am Pfannenrand eingesetzt werden (J-Span), um die natürliche Kontur der Gelenkpfanne wiederherzustellen. Alternativ kann das Coracoid (Rabenschnabelfortsatz) abgetrennt und mit der anhängenden Bizepssehne als statische und dynamische Stabilisation transferiert werden. Diese Technik wird als offene Stabilisierung nach Latarjet bezeichnet. Langzeitergebnisse dieses Verfahrens zeigen bis zu 98 Prozent sehr zufriedene Patienten und eine Reluxationsrate von maximal 3 Prozent.
Nachbehandlung
Eine korrekte Nachbehandlung ist genauso wichtig wie der eigentliche Eingriff selbst. Die Schulter wird nach arthroskopischer Limbusrefixation in den ersten zwei Wochen in einem Orthogilet ruhiggestellt. Anschliessend trägt der Patient tagsüber eine Armschlinge für weitere zwei Wochen. Bereits am ersten Tag nach der Operation beginnt das Rehabilitationsprogramm, das von speziell geschulten Physiotherapeuten begleitet wird. Das Schultergelenk wird kontrolliert und dosiert bewegt, um Verklebungen der Gleitschichten vorzubeugen. Der Arm darf während der ersten sechs Wochen nicht über 0 Grad nach aussen gedreht werden. Nach dieser ersten Rehabilitationsphase folgt ein kontinuierlicher Bewegungs- und Belastungsaufbau mit muskulären Stabilisierungsübungen unter physiotherapeutischer Anleitung. Leichtere körperliche und sportliche Aktivitäten sind zu diesem Zeitpunkt bereits wieder möglich. Kontaktsportarten wie z. B. Handball, Fussball, Kampfsportarten usw. können nach sechs bis neun Monaten wieder ausgeübt werden. Die Rehabilitation nach einer Latarjet-Operation ist schneller und einfacher.
Hohe Zufriedenheit
Nach stabilisierenden Operationen (arthroskopisch oder offen) sind die meisten Patienten sehr zufrieden. Je nach wissenschaftlicher Studie liegt der Grad der Zufriedenheit zwischen 80 und 100 Prozent. Das Risiko einer erneuten Ausrenkung liegt bei etwa 8 Prozent.
Im Überblick: Warum operativ stabilisieren?
Wiederkehrende Ausrenkungen sind äusserst schmerzhaft.
Bei jeder Luxation könnte der Nervus axillaris eingeklemmt oder durch Druck und Zug während des Ausrenkungsereignisses oder durch das Manöver geschädigt werden. Dies kann mit einer Lähmung und/oder einer Gefühlsstörung einhergehen.
Jede Luxation kann zu mehr strukturellen Schäden an Knorpel, Limbus, Kapsel, Pfannenrandknochen und Oberarmkopf führen. Eine frühzeitige Arthrose wäre die Folge.